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FRIEDRICH HEER

Meister Eckhart

From Eckhart, Predigten und Schriften, ausgewaehlt und eingeleitet von Fr. Heer, Frankfurt/M-Hamburg 1956


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Time and Creation in Gregory of Nyssa and Meister Eckhart
Time and Creation
In Gregory of Nyssa and
Meister Eckhart

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II. Der große Tröster

 

 

"Religio", "Religion" heißt im mittellateinischen, mittelalterlichen Sprachgebrauch: Orden, ordensähnliche Gemeinschaft mit festen Satzungen, mit einer "Regel", erkennbar vor aller Welt an Kleidung, Lebensform, Liturgie, behaust in einem Kloster, in einem Haus, das ausgegliedert ist aus dem taglichen Leben der "Welt". Das Eindringen des christlichen Sprengkerns in die Tiefe der Person, und der Druck der Zeit bewirken es, daß, in steigendem Maße seit dem 13. Jahrhundert, immer mehr Menschen "religiös" leben wollen: damit aber ergibt sich eine zweifache Schwierigkeit. Die alten reichen und konservativen Stifte, Klöster und Kapitel wollen diese "Erweckten" nicht aufnehmen, können sie auch gar nicht bergen, weder innerlich noch äußerlich. Also ergibt sich die Notwendigkeit, neue, von Kirche und Welt (also etwa der Stadtobrigkeit) anerkannte religiöse Gemeinschaften zu schaffen. Auch diese vermögen die breiten Massen nicht im notwendigen Umfange zu erfassen. Also versuchen immer mehr Menschen, ein neues religiöses Leben sich aufzubauen, mitten in der Welt. In großer Unsicherheit, ohne geistliche Führung, ohne regelmäßige Betreuung: gute Prediger sind selten, Bücher sind für das Laienvolk so gut wie nicht vorhanden (erst Jahrhunderte später wird sich, etwa in Augsburg, das Gewerbe des Bücherschreibens für bildungswillige Laien entwickeln). Um 1200 ergreift die Armutsbewegung, von Italien und Frankreich her, west - und südwestdeutsche Kreise. Sie darf als ein erster großangelegter Versuch eines gottinnigen Lebens in der Welt angesehen werden: der um Gottes willen, um des gekreuzigten Jesu willen "Arme Christi" lebt in der Welt so, als ob die Welt ein ideales Kloster wäre: er entsagt freiwillig dem Genuß und Gebrauch der irdischen Güter, gibt diese den Armen, und pflegt ein Leben "geistlicher Armut", im Dienst an seinen Brüdern, gelassen verzichtend auf Ehre, Ruhm, Reichtum. Der "Arme Christi" will innerlich leer werden, damit Christus und die Fülle der Gottheit in diese Leere einkehren und sie erfül1en können. Diese europäische Armutsbewegung ist die breite Grundlage, auf der Franz von Assisi und Dominikus aufbauen; alles, was Meister Eckhart predigt von der "Gelassenheit", von der inneren Armut, vom Ausgehen aus den Dingen vom "Gerechten", der alle Welt "läßt" um Gottes willen, tendiert dahin die Armutsbewegung und ihren Königsgedanken, die geistliche Armut, zu reifen, zu erhöhen und zu vertiefen. - Die Armutsbewegung ergreift Adel und Bürgertum, am wenigsten das Bauerntum, am starksten das Volk in den Städten: hier wurde ja der Gegensatz von Arm und Reich am stärksten im täglichen Leben erfahren. Sie ergreift vor allem das verletzteste, versehrteste Element der harten mittelalterlichen Gesellschaftsordnung, die Frauen. Von nun an wird der Westeuropäer, der abendliche Christ erzogen durch die Frau, und die Frau wird erzogen, wird entbunden der ihr eigentümlichen Liebeskraft durch den "Geistlichen", durch den Ordensmann der neuen Orden. Noch die aufgeklärten Abbés des 18. Jahrhunderts, noch der Salon des 19. Jahrhunderts mit seiner intellektuellen Erotik sind ein später Sprößling der spirituellen Kultur, die die innere Dimension des europäischen Menschen in einer der Antike unbekannten Weise entfaltet im innigen Kontakt zwischen erweckter Frau und neuem Mönch. - Die Zentren der mystischen Bewegung, die auf deren Zwiesprache ruht, sind in Westdeutschland die Klöster von Köln, Straßburg, Erfurt, Heilbronn, Augsburg, Regensburg. Die steten Kriege und Bürgerkriege haben einen riesigen Frauen-überschuß geschaffen, die Zeit hat zu wenig Berufe und Betätigungen für Frauen in der Welt. Für die unverheiratete Frau scheint das Kloster das einzige Refugium zu sein, um ehrbar zu leben. Anfang des 14. Jahrhunderts, also in Eckharts Blütezeit, stehen in der deutschen Ordensprovinz der Dominikaner 70 Frauenklöster 46 bis 48 Männerklöstern gegenüber. Die Stadt Straßburg hat 7 Dominikanerinnenklöster. Diese Klöster werden umlagert von Scharen, von Sippengenossen, von Freunden, Verwandten, die bei ihren geistlich gewordenen Schwestern Zuspruch suchen. Diese wissen sich schmerzlich überfragt und überfordert (die individuale Seelsorge steckt ja in den allerersten Anfängen). Also wenden sie sich an den männlichen Hauptträger des Ordens. Dieser will die cura monialium, die Seelsorge für seine eigenen Frauenklöster nicht gerne übernehmen. Er fürchtet, Kräfte und Substanz zu verlieren, er will seine besten Kräfte sammeln für die großen geistigen Auseinandersetzungen der Zeit, für das Studium, für Forschung und Lehre der Theologie. Dahinter steht ein Letztes: die ausgesprochen männisch-männliche Orientierung der älteren europäischen Theologie, ihre Angst vor der Frau, ihre Mißachtung der mater, der Materie, der "trägen Materie", die, wie die "Frau Welt", mit dem Weiblichen, das zum Weibischen degradiert wird, identifiziert wird. Diese Tendenz ist so stark, daß selbst die große Hildegard von Bingen, die erste deutsche Mystikerin großen Formats, eine sehr männliche Erscheinung, ihr Zeitalter als tempus muliebre, als weiblich-weibisches Zeitalter, verklagt. Auch Meister Eckhart übernimmt den alten platonisch-antiken Abscheu vor der Frau; und noch der erste Eckhart-Forscher im 19. Jahrhundert, sein Ordensbruder Denifle, beklagt laut und bitter den Beschluß des Ordensprovinzials Hermann von Minden (1286-1290), der die fratres docti, also die Lektoren und Magister der Theologie, mit der Seelsorge der Nonnen beauftragt. Der Orden hatte sich zuvor durch Gregor IX. und Innozenz IV. von dieser Sorge entbinden lassen, war aber durch Klemens IV. neu verpflichtet worden. Man hat mit Recht diese Instruktion als "Geburtsstunde der deutschen Mystik" bezeichnet. Nun trifft die Sehnsucht der aufgewühlten und leidbedrangten weiblichen Herzen mit der Sehnsucht der männlichen Hirne, die in Paris, aber auch schon in Deutschland selbst erregt werden durch ungeahnte neue Horizonte, die sich ihnen eröffnen, zusammen. Die junge Intelligenz des jungen revolutionären Ordens wird mächtig angesprochen durch die Kühnheit und Weite des Denkens des Mittelmeerraumes, das ihnen da durch die jüdischen, arabischen und muselmannischen Mittelsmänner nahegebracht wird, und in das sehr vieles Nah- und vielleicht sogar Fernöstliche eingeflossen ist. (Die Nähe Eckharts zu manchen Gedankengangen Laotses, des Taoismus, aber auch des Zen-Buddhismus gibt zu denken.) Dieses Denken des jungen und jugendlichen Mannes, das in allem Überschwang der Frühe in die Ferne und Höhe schweift, wird durch das trostsuchende weibliche Herz immer wieder genötigt, ein- und heimzukehren zur bitter‑süßen Erde. (Die offen sichtbare Diskrepanz in Eckharts Denken und Lehren hat auch hier eine ganz reale Grundlage: der Meister möchte von sich aus nicht lange verweilen bei den Erden-Dingen die von Gott, vom, "reinen Denken" abziehen, sein Publikum aber zwingt ihn dazu - wir sind versucht, zu sagen: Gott sei Dank!) Das Drängen der Frauen erhält noch eine besondere Akzentuierung durch die Tatsache, daß es die intellektuelle Hochmystik der Eckhart-Zeit, im Unterschied zur gefühlsamen individualistisch-intimen, bürgerlichen Mystik seiner Erben und Nachfolger, mit Frauen aus den ersten Kreisen der Gesellschaft zu  tun hat, mit den Töchtern des städtischen Patriziats und mit den hochadeligen und -hochfürstlichen Frauen. Kunigunde, eine Schwester Rudolfs von Habsburg, Margarethe, die Schwester Kaiser Heinrichs VII., Margarethe von Ungarn eine Tochter des ungarischen Königs, Königin Elisabeth von Ungarn, die selbst Dominikanerin in Töß wird, Gräfin Beatrix von Horn, Agnes von Ochsenstein, Gertrud von Bruck, Anna von Vinneck, Gertrud von Jungholz: die junge deutsche Mystik ist von adeligen Frauen einbegleitet. Meister Eckhart verfaßt sein berühmtes "Buch der göttlichen Tröstung" für Agnes, die Tochter Albrechts I. von Österreich, Königinwitwe von Ungarn, zwischen 1308 und 1311. Diese politisch hochaktive Frau hatte zunächst nach dem frühen Tod ihres Mannes in Wien als Sekretärin, Beraterin und Stellvertreterin ihrer Mutter, der Königin Elisabeth, gewirkt.

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